Die ersten warmen Sonnenstrahlen des Jahres kitzeln Thea durch das Stallfenster hindurch wach. Die schwarz-weiß gescheckte Kuh muss blinzeln. Noch etwas müde von der Nacht schnuppert sie mit geschlossenen Augen der Sonne entgegen. Sie freut sich, denn sie nimmt den Duft von frischem Heu wahr, dass der Bauer schon im Stall verteilt hat. Das Frühstück für die Kühe steht bereit. Ungern möchte sie ihr warmes Nest verlassen. Es ist doch so kuschelig hier im Stroh.
Doch plötzlich verzieht sie das Gesicht vor Schmerz. Eine laute, schrille Stimme zerstört die sonst so vertraute Geräuschkulisse im morgendlichen Stall. Nachdem sich Theas Ohren an den Ton gewöhnen, erkennt sie, dass hier jemand singt. Und das Liedchen geht so:
„Der Winter ist vergangen, Neues hat angefangen. Thea und Mila wunderbar, erfreuen sich an der Vogelschar. Mit Pauken und Trompeten woll‘n wir in den Frühling treten. “
Jetzt muss Thea lachen, denn hier singt eindeutig ihre kleine Freundin Mila voller Inbrunst. Und weil sie so klein ist, muss sie auch ganz in der Nähe sein – so laut wie sie trällert. Thea schaut sich um und hebt nun den Kopf oben der Sonne entgegen. Hier sieht die Kuh die kleine Maus auf einem Gitter stehen. Thea kann nur ihre Umrisse sehen und staunt nicht schlecht. Ihre Freundin sieht aus wie eine Königin. Das muss sich Thea genauer ansehen. Sie erhebt sich. Nun erkennt sie ihre kleine Freundin, die sich ganz schön rausgeputzt hat: Mila hält einen Zahnstocher in der Hand. Auf dem dünnen Holzstöckchen ist eine gelbe Huflattich-Blüte gesteckt und obendrauf schillert ein goldig schimmerndes Stückchen Heinrichsthaler Käse. Auf dem Kopf trägt sie eine Schneeglöckchen-Blüte, die mit den Blütenblättern nach unten hängt. Dabei fallen ihr die Blütenblätter etwas vor die Augen, so dass sie den Kopf heben muss um etwas zu sehen. Um die Hüften trägt sie ein mit Stroh zusammengeflochtenes Röckchen.
Den Winter vertreiben
Thea bleibt vor Erstaunen das Maul offen stehen. Nachdem sie sich aufgerappelt hat, sprudelt es aufgeregt aus der Kuh heraus: „Mila, liebe Mila du siehst ja aus wie eine Blumenkönigin.“ Mila blickt ihre Freundin an und antwortet mit verstellter Stimme: „Ich kenne keine Mila. Ich bin die Frühlingsbittnerin Milo Milinski. Ich vertreibe jedes Jahr den Winter und bitte den Frühling zu kommen.“
Zugegeben, Thea muss sich schon etwas das Lachen verkneifen. Einfach, weil Mila – beziehungsweise die Frühlingsbittnerin Milo Milinski – während sie spricht mit ihrem Zahnstocher-Zepter wie verrückt durch die Luft wirbelt und dabei ganz ernst blickt. Doch dann beginnt das verkleidete Mäuschen wieder lauthals zu singen: „Der Winter ist vergangen, Neues hat angefangen. Thea und Mila wunderbar, erfreuen sich an der Vogelsch… „. Thea unterbricht sie schnell: „Aber wo ist denn meine Freundin Mila nur geblieben? Wir wollten uns heute Morgen treffen.“ Nun muss die Frühlingsbittnerin Milo Milinski selbst lachen: „Aber Thea, ich bin es doch selbst: deine Freundin Mila. Erkennst du mich denn nicht?“ Mila nimmt ihre Schneeglöckchen-Krone ab und beißt dabei keck in das Stückchen Käse.
Die kleine Maus gesellt sich zu ihrer großen Freundin. Schmatzend erklärt sie Thea, dass es jetzt wirklich genug ist mit dem kalten Winter. Deshalb möchte sie, verkleidet als Frühlingsbittnerin Milo Milinski, den restlichen Winter aus der Natur vertreiben. Mila schwärmt: „Ich freu mich so auf die flauschigen Weidenkätzchen an den Ästen. Ich kann es kaum erwarten, wenn die Vöglein wieder über unsere Köpfe flattern und lauthals zwitschern.“ Vor lauter Freudentaumel lässt sich die kleine Maus in das frische Heu fallen. Auch Thea kann es sich genau vorstellen. Sie fügt muhend hinzu: „Ich rieche schon das frische Gras unter meinen Hufen. Es dauert bestimmt nicht mehr lang bis die neue Weidesaison beginnt.“ Thea beugt sich zu Mila herunter und entnimmt neben ihrer Freundin etwas Heu aus der Futterstelle.
Das kleine graue Mäuschen streichelt sich über den kugelrunden Bauch. Dabei betrachtet es ihre heu-mampfende Freundin ganz genau. Plötzlich besinnt sie die Maus, schnellt hoch auf ihre zwei Beine und setzt sich die Blütenkrone wieder auf den Kopf. Nun holt sie tief Luft und schmettert aus lauter Kehle ihr Liedchen: „Der Winter ist vergangen, Neues hat angefangen. Thea und Mila wunderbar, erfreuen sich an der Vogelschar. Mit Pauken und Trompeten woll‘n wir in den Frühling treten.“